[ Events3 Highlights ]

Jean Gaumy - Men at Sea / The Temptation of Landscape

Die Städtische Galerie Iserlohn zeigt in Zusammenarbeit mit der Agentur Magnum Photos, die in diesem Jahr ihr siebzigjähriges Bestehen feiert, auf verschiedenen Ausstellungsebenen zwei Bildserien des französischen Fotografen Jean Gaumy, der seit vierzig Jahren Mitglied der berühmten Kooperative ist und im letzten Jahr gemeinsam mit Sebastião Salgado und Bruno Barbey in die französische Akademie der Künste berufen wurde.

1948 im Südwesten Frankreichs geboren, arbeitete Jean Gaumy zunächst neben dem Studium der Literaturwissenschaft in Rouen als Redakteur und Fotograf für eine regionale Tageszeitung. Anfang der siebziger Jahre reichte er erste Arbeiten bei der Agentur Viva ein, 1973 wurde er Mitglied von Gamma und 1977 von Magnum Photos. Jean Gaumy hat umfangreiche Reportagen in Europa, Afrika, Zentralamerika sowie im Nahen Osten und hier vor allem im Iran fotografiert. Die Reportagen über die Hochseefischerei und die Landschaftsfotografie entstammen persönlichen Projekten, denen sich der Fotograf über längere Zeiträume gewidmet hat. Beide Serien wurden in umfangreichen Büchern publiziert.

Men at Sea (Hochsee)

Während mehrerer Reisen an Bord offener Fisch-Trawler, von 1984 bis 1998, teilte Jean Gaumy den gefährlichen und beschwerlichen Alltag von Seeleuten auf dem stürmischen Atlantik. Die Ausstellung präsentiert eine Auswahl der bemerkenswerten Aufnahmen, die während dieser Reisen entstanden sind, zwischen Poesie und rauer Wirklichkeit. Tagebuchauszüge dokumentieren das Leben und persönliche Erleben an Bord der Schiffe.

"Auf dem Meer gibt es manchmal nichts. Man klammert sich an eine Bewegung, eine Welle, ein bisschen Schaum. Alles löst sich auf. Die dunkelsten Seiten in einem selbst können zum Vorschein kommen. Oder die schmerzlichsten."

Jean Gaumy - Tagebuch, Sonntag 9. Dezember 1984

 

 

"Es ist wirklich das Ende der Welt, die ich für mein Gefühl noch nicht gründlich genug fotografiert habe. Die BIlder, die ich habe, reichen mir nicht - dieses Endgültige, dieses "Nie mehr" lässt mich nicht los ..."

Jean Gaumy - Tagebuch, Freitag, 14. Februar 1992

The Temptation of Landscape (Die Versuchung der Landschaft)

Eine stillere, aber ähnliche intensive Verbindung zur Natur zeigen die Landschaftsaufnahmen. Sie sind das Ergebnis einsamer Wanderungen durch das piemontesische Cuneo in der Grenzregion zwischen Frankreich und Italien. Grafisch abstrakt und gleichzeitig emotional verdichten die Aufnahmen die Kargheit und Verlassenheit dieser Gebirgsregion in großer Intensität. Jean Gaumy hat für seinen Band "D´après nature", so das französische Original, 2010 den renommierten Prix Nadar erhalten.
Das Buch enthält Textauszüge des in Deutschland eher unbekannten französischen Autors René Daumal, der in seiner Erzählung "Mont Analogue" (zu dt. "Der Analog") die Symbolbedeutung des Berges heraufbeschwört.

"In der Tradition der Fabel - so hatte ich dem Sinn nach geschrieben - bildet der Berg das Bindeglied zwischen Erde und Himmel. Sein einigender Gipfel reicht bis ans Reich der Ewigkeit, sein in zahlreiche Ausläufer sich verzweigender Fuß lädt ins Reich der Sterblichen aus. Er ist der Weg, auf dem der Mensch zum Göttlichen aufsteigen kann und das Göttliche sich dem Menschen offenbaren".

aus: René Daumal - Der Analog

Magnum Photos wird 70

„Magnum ist eine Gemeinschaft im Denken, ein gemeinsamer Wesenszug, Neugier auf das, was geschieht in der Welt, Respekt für das, was dort geschieht, und der Wunsch, dieses Geschehen in Bildern festzuhalten.“

Henri Cartier-Bresson

Die legendäre Fotoagentur Magnum Photos wurde vor 70 Jahren – nur zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – gegründet. Ort des ersten konstituierenden Treffens im April oder Mai 1947 war angeblich das Penthouse-Restaurant des New Yorker Museum of Modern Art in der 53. Straße West. Anwesend waren damals Robert Capa, der Hauptinitiator und Motor des Projekts, der Life-Fotograf William Vandivert, dessen Frau Rita Vandivert sowie Maria Eisner, die vor dem Krieg die Geschicke der Agentur Alliance Photos in Paris gelenkt hatte. Die drei weiteren Gründungsmitglieder Henri Cartier-Bresson, David ‚Chim’ Seymour und George Rodger fehlten bei diesem Treffen. Sie hatten schon früher ihre Beteiligung an einer Fotografen-Kooperative zugesagt. Bei der Namensfindung für die Agentur sollen sowohl Robert Capas Vorliebe für Champagner als auch seine ehrgeizigen Pläne hinsichtlich der Größe des Projekts eine Rolle gespielt haben.

Schriftliche Zeugnisse darüber, wo und wann dieser sagenumwobene Augenblick genau stattgefunden hat, gibt es nicht, doch Fakt ist, dass Magnum Photos Inc. am 22. Mai 1947 ins New Yorker Handelsregister eingetragen wurde. Erste Büroleiterin/ Schatzmeisterin war Maria Eisner, erste Präsidentin Rita Vandivert.

Magnum Photos Inc. war die erste Agentur, mit der sich eine Gruppe unabhängiger Fotografen als Kooperative organisierte und in der alle Mitglieder gleichberechtigte Anteilseigner waren. Das zentrale Anliegen ihrer Gründer bestand darin, sich vom Diktat der Magazinpresse zu befreien und selbst über Inhalt und Dauer ihrer Projekte zu bestimmen. Möglich wurde dies durch die Entscheidung der Gruppe, dass die Rechte an den Bildern bei den Fotografen verbleiben und nicht auf die Magazine übergehen sollten, die die Arbeiten in Auftrag gaben oder abdruckten. Dies erlaubte es den Fotografen, ein einzelnes Bild mehrmals zu verkaufen. Die weitgehend unabhängige Entscheidung darüber, wie lange sie sich welchem Projekt widmen wollen, ist für die Magnum-Fotografen bis heute von zentraler Bedeutung. Statt sich den Interessen einer einzelnen Publikation und ihres Redaktionsteams unterordnen zu müssen, haben sie ein Maximum an Freiheit und Kontrolle, was die Gestaltung und Verbreitung ihrer Werke betrifft. Dies ist in ihren Augen eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass sie ihre persönliche Sicht der Dinge vermitteln und ihre Urheberrechte wahren können. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Gründung von Magnum gleichzeitig die Geburtsstunde der Urheberrechte in der Fotografie war.

Magnum Photos eröffnete zwei Büros: Die New Yorker Niederlassung wurde von Rita Vandivert geleitet, der Pariser Sitz von Maria Eisner. Sie kümmerten sich um den Verkauf der Fotografien. Um eine möglichst flächendeckende Berichterstattung zu gewährleisten, teilten die Agenturmitglieder die Welt unter sich auf: Seymour war für Europa zuständig, Cartier-Bresson für Asien und den Fernen Osten, Rodger für Afrika und den Nahen Osten, Bill Vandivert für die USA. Capa fungierte gewissermaßen als „Joker“ und arbeitete immer dort, wo er oder die anderen Fotografen es für sinnvoll hielten.

In den ersten Jahren nach ihrer Gründung war die Agentur eher ein Experiment als ein professionell geführtes Unternehmen mit einer durchdachten Geschäftsstrategie. Dass sie dennoch überleben konnte, ist harter Arbeit, einem Quäntchen Glück, der Hilfe von Freunden und der hohen Qualität der Fotos zu verdanken. Während die Magnum-Chefs als Fotografen ständig auf der ganzen Welt unterwegs waren, kam es in den Büros zu zahlreichen finanziellen Engpässen und privaten Spannungen, was für alle Beteiligten einen enormen Druck bedeutete. Die Angelegenheiten standen nicht immer zum Besten, und Bill und Rita Vandivert waren die Ersten, die nach nur einem Jahr aus dem Projekt ausstiegen.

Capa jedoch hatte weiterhin ehrgeizige Ziele für die Agentur. Magnum sollte, wie der Name schon andeutete, groß sein und weltumspannend. Vor diesem Hintergrund wurde es unumgänglich, professionelle Mitarbeiter anzustellen und sich weiteren Fotografen zu öffnen. Damit konnte Magnum in seiner Berichterstattung mehr geografische Regionen abdecken, und die Einnahmen steigern.

Der Tod von Robert Capa und Werner Bischof im Mai 1954 stürzte Magnum in eine schwere Krise. Viele Mitglieder fürchteten, dass die Agentur ohne Capa als Ideengeber und Leitfigur nicht würde überleben können. Doch Cornell Capas Entscheidung, sich Magnum anzuschließen, und Seymours Bereitschaft, die Präsidentschaft zu übernehmen, verhinderten die Schließung von Magnum. Nachdem Capa als Magnum-Präsident einen eher chaotisch-kreativen Führungsstil gepflegt hatte, legte Seymour den Grundstein für übersichtliche Organisationsstrukturen. Er galt als pragmatischer und umsichtiger Mensch, und unter seiner Präsidentschaft wurden bei der Jahreshauptversammlung der Agentur im September 1955 die Rahmenbedingungen für die Magnum-Mitgliedschaft, darunter auch die Regeln für die Aufnahme neuer Mitglieder, neu festgelegt.

Heute gelten für die Aufnahme bei Magnum folgende Regeln: Um Mitglied zu werden, wird ein Fotograf oder eine Fotografin zunächst zum „nominee“, dann assoziiertes Mitglied und schließlich Vollmitglied. Als „nominee“ arbeitet er oder sie „während einer Probezeit unter Anleitung eines Agenturmitglieds“. Nach dieser Probezeit, die im Normalfall zwei Jahre dauert, kann der „nominee“ zum assoziierten Mitglied gewählt werden. Er oder sie arbeitet dann in Vollzeit für Magnum, hält jedoch keine Anteile an der Agentur. Nach zwei Jahren kann der oder die assoziierte Fotograf/-in dann den Status der Vollmitgliedschaft erlangen und wird damit gemeinsam mit den anderen Mitgliedern gleichberechtigte(r) Anteilseigner/-in. Als „contributors“ werden im Allgemeinen Fotograf/-innen bezeichnet, die mindestens 25 Jahre Mitglied der Agentur waren und ihr weiterhin eng verbunden sind, ihre Anteile jedoch abgegeben haben. „Correspondents“ arbeiten nicht exklusiv für Magnum und sind auch nicht Anteilseigner.

Während die Agentur-Gründer bei der Auswahl neuer Mitglieder vor allem Wert darauf legten, dass die Kollegen ihre Anschauungen und Visionen teilten, richtete sich das Augenmerk der nachfolgenden Magnum-Generationen zunehmend auf die Vielfalt innerhalb der Gruppe. Heute deckt Magnum alle Bereiche von der traditionellen Reportagefotografie bis zur Konzeptkunst ab. Einziges Kriterium für die Aufnahme ist, dass der oder die Fotograf/-in seine oder ihre Motive in der realen Welt findet und auf die eine oder andere Art über diese Welt berichtet oder sie dokumentiert.

Innerhalb der vergangenen 60 Jahre haben zahlreiche Fotograf/-innen Aufnahme bei Magnum gefunden, und die kleine Familie hat sich zu einem großen Clan entwickelt. Obwohl die Fotografen heute mit dem Alltagsgeschäft in den Büros nichts mehr zu tun haben, entscheiden sie nach wie vor über die Geschicke und die Zukunft der Agentur. Bei der jährlichen Generalversammlung stimmen sie nicht nur über strategische und administrative Entscheidungen sowie neue Projekte ab, sondern diskutieren auch neue Ideen, tauschen Meinungen und Standpunkte aus und wählen neue Mitglieder.

Heute ist die einst kleine Agentur ein internationales Unternehmen mit Büros in New York, Paris, London und Tokio. Im Laufe ihres Bestehens hat sie diverse schwere Krisen überstanden, das Ende der großen Ära des Magazin-Journalismus überlebt und sich erfolgreich den Herausforderungen des digitalen Zeitalters gestellt. Angesichts der Krise der Printmedien und der veränderten Bedürfnisse des Kunstmarktes hat die Agentur ihre Aktivitäten im Rahmen von Ausstellungen internationaler Kunstinstitutionen beträchtlich erweitert, und die Büros verfügen inzwischen über Ausstellungsräume und Galerien.

Andréa Holzherr, Magnum Photos