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Richard Kalvar Earthlings. Retrospektive<BR>22. April - 06. Juni 2010

Richard Kalvar wurde 1944 in Brooklyn, New York, geboren. Er lebt und wohnt in Paris.

Nach dem Studium der Englischen und Amerikanischen Literatur an der Cornell Universität, von 1961 bis 1965, arbeitete er in New York als Assistent des Modefotografen Jerôme Ducrot. Eine ausgedehnte Reise mit der Kamera durch Europa im Jahr 1966 brachte die Entscheidung, selbst Fotograf zu werden.
Nach zwei Jahren in New York ließ er sich in Paris nieder und wurde Mitglied der Fotoagentur VU. 1972  half er bei der Gründung der Agentur VIVA. 1975 lud man ihn ein, Gastmitglied der Fotoagentur MAGNUM zu werden, zwei Jahre später wurde er deren Vollmitglied. Er bekleidete Funktionen als deren Vizepräsident und Präsident.

 

Richard Kalvar schuf sein umfangreiches fotografisches Oeuvre vorwiegend in den USA, Europa und Japan. Seine Fotografien sind gekennzeichnet durch eine eigene Ästhetik und eine große thematische Homogenität. Die Bilder spielen mit der Diskrepanz zwischen der Banalität einer wirklichen Situation und dem seltsamen Gefühl der Unwirklichkeit. Die so erzeugte Spannung zwischen  verschiedenen Interpretationsebenen, wird gemildert - oder auch überspitzt - durch einen Schuss Ironie. Mit feinem, hintersinnigen Humor ausgestattet spürt Kalvar den kleinen, flüchtigen Absurditäten der menschlichen Komödie nach.

1980 stellte er seine Werke in der Galérie Agathe Gaillard in Paris aus, nahm daneben Teil an etlichen Gemeinschaftsausstellungen. Er spezialisierte sich immer mehr auf das alltägliche, großstädtische Leben. 1993 publizierte er ein Stadt-Porträt von Conflans-Sainte-Honorine. Rom ist Gegenstand eines gegenwärtigen Projektes.  Das Maison Européenne de la Photographie würdigte das Werk Kalvars 2007 mit der Publikations »Terriens« (Erdlinge/Earthlings) und der Zusammenstellung dieser Retrospektive, die nun erstmals in Deutschland gezeigt wird.

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 alle Abb. © Richard Kalvar / Magnum Photos

Richard Kalvar über seine Arbeit: 

"Ich bin nicht wild auf die Bezeichnung “street photography” (Straßenfotografie) um das zu beschreiben, was ich mache, weil meine Tätigkeit nicht notwendigerweise auf Straßen stattfindet. Die Bilder können auch auf einem Bauernhof entstehen, im Zoo, in einem Büro und so weiter. Die allgemeine Kategorie “ nicht gestellte Bilder von Menschen” trifft eher zu (oder manchmal auch von Tieren oder unbelebten Objekten, wenn in ihnen die menschliche Seele spürbar wird), und dann die Unterkategorie “auf denen nichts Besonderes stattfindet”. Wenn wir das dann eingrenzen auf das engere Gebiet “Spielen”, dann kommen wir in den Bereich, auf dem ich seit 40 Jahren tätig war. Das ist es, was ich gerne mache: Spielen mit der ganz normalen Wirklichkeit, wobei sich meine “Akteure” ihrer Rolle nicht bewusst sind, sich also nicht im Pose werfen in dem “Drama”, in dem ich sie einsetze.

Ich habe immer versucht auf meine eigene ganz natürliche Weise zu fotografieren. Dennoch habe ich eine Verbindung festgestellt zu einigen europäischen und nord-amerikanischen Fotografen, die mehr oder weniger auch das tun, was ich oben definiert habe: Robert, Frank, Cartier-Bresson, Arbus, Friedlander, Erwitt, ... Ich finde Fotografen wie Paul Strand oder Walker Evans bewundernswert, aber sie lassen mich ein wenig kalt. Als ich mit dem Fotografieren begann, war ich so frei, auf »Die Amerikaner« zu sehen. Nicht, dass ich die gleichen Bilder wie Frank schießen wollte, aber ich fand seine Art aufregend, “auf etwas zu reagieren”, viel mehr als “etwas darzustellen”. Dieses “gewollte Darstellen” fand ich immer ein wenig langweilig.

Die andere Seite dieses “Darstellens” ist, dass es in gewisser Weise nicht möglich ist, niemals ganz echt erscheint. Es gibt eine quälende, asymptotische Konvergenz zwischen Realität und Fotografie - die beiden können sich niemals völlig treffen. Ein Bild sieht aus wie die Realität, dennoch es ist nur ein Auszug daraus, eine Abstraktion: seine Zeit ist eingefroren, das Bild ist flach, still und ohne eine Ahnung, was darum herum vorgeht. Der Geruch ist verflogen und manchmal auch die Farbe. Die Auswahl des Moments hebt die Kontinuität eines Davor und Danach auf, die in der Realität jederzeit gegenwärtig ist.

Sicherlich sehen Fotografien aus wie die Realität, und es ist die eng verwobene und dennoch unmögliche Verwandtschaft zwischen diesen beiden, die uns viele wunderbare Möglichkeiten eröffnet. So lange man  das Geschehen nicht manipuliert durch bewusste Posen oder digitale Veränderung kann man Szene erschaffen die beides zugleich sind, glaubwürdig ebenso wie absurd. Sie alle sind Impressionen.“

Richard Kalvar, August 2007