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Ich und die Anderen
Wilhelm Morgner - Zeichnungen des Expressionismus

21.02.2010 - 11.04.2010 

„Ich bin Gott, ich bin der Schöpfer aller Dinge, ich soll der Natur diktieren.“ - Gerade einmal zwanzig Jahre alt schrieb Wilhelm Morgner diese Worte an seinen Lehrer und väterlichen Freund Georg Tappert. Wer war dieser junge Mann, der nicht nur in seiner Kunst, sondern auch in den unzähligen, oft seitenlangen Briefen an seinen einzigen Vertrauten, mit trotzigem Selbstbewusstsein, das mitunter schon an Überheblichkeit grenzte, um Ausdruck rang?

Wilhelm Morgner (1891 – 1917) wächst in gutbürgerlichen Verhältnissen im westfälischen Soest auf. Der Vater, ein ehemaliger Militärmusiker, stirbt früh, die Mutter hätte ihren Sohn gerne als Pfarrer gesehen. Doch Morgner hat andere Pläne: ermutigt durch die Fürsprache Otto Modersohns, ebenfalls gebürtiger Soester und Mitbegründer der Malerkolonie Worpswede, tritt er 1908 in die private Kunstschule Georg Tapperts in Worpswede ein. Dort hält es ihn nur kurz, bereits wenige Monate später ist er wieder in Soest. 1910 ist er zu Studienzwecken in Berlin, durch Tappert kommt es zu ersten Ausstellungsbeteiligungen. 1912 gerät er durch Franz Marc in den Umkreis des „Blauen Reiters“, im Sommer ist er mit einem Werk auf der berühmten „Sonderbund“-Ausstellung in Köln vertreten. Morgner befindet sich auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn, als ein Ereignis sie jäh beenden sollte: 1913 erfolgt seine Einberufung zum Militär. Sein Dienst als Einjährig-Freiwilliger fällt zusammen mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Im August 1917 stirbt Wilhelm Morgner sechsundzwanzigjährig bei dem Versuch, sich der Gefangennahme durch englische Soldaten zu widersetzen.

Wilhelm Morgner kämpfte als fanatisch Suchender mit sich und seiner Kunst. In den nur acht Jahren, die ihm für seine künstlerische Entwicklung blieben, entstanden mehr als 200 Gemälde und  annähernd 2.000 graphische Arbeiten. Mit Beginn seiner Militärzeit wurde die  Zeichnung einziges Medium für den Künstler, daher lässt sich gerade an ihr am unmittelbarsten Morgners künstlerischer Werdegang nachvollziehen. So nahm er abseits der großen Kunstzentren und nie einer Künstlervereinigung zugehörig in der westfälischen Provinz Einflüsse des Realismus, (Spät-)Impressionismus und Expressionismus auf, um schließlich als einer der ersten Künstler überhaupt in seinen „ornamentalen“ und „astralen“ Kompositionen zur Abstraktion zu gelangen.

Unermüdlich skizzierte er Soest und seine Umgebung. Die „Liebe zur Scholle“ wurde jedoch nicht immer erwidert. Viele Soester standen dem exzentrischen Künstler mehr als ablehnend gegenüber, entsprach sein Werk so gar nicht dem anerkannten Kunstgeschmack. Die öffentliche Zurückweisung verarbeitete Morgner, indem er sich in zahlreichen Zeichnungen und Gemälden mit dem leidenden Christus der Passion identifizierte.

Mit seinem provokanten Verhalten war Morgner der Prototyp eines expressionistischen Künstlers. Er schockierte nur allzu gerne die Soester „Spießbürger“ – sei es durch sein extravagantes Auftreten mit auffälligem Hut und Mantel à la van Gogh oder durch einen öffentlich in der Lokalpresse inszenierten Kunststreit. Dass er hinter seinem trotzigen Gebaren im Grunde nur seine intensive, zwanghafte Suche nach dem Wesen der Kunst, dem eigenen „unverfälschten Ich“ (Brief an Tappert vom 27. November 1911) verbarg, wird spätestens in seinen Selbstbildnissen deutlich, in denen Morgner in immer neuer Variation mit unsicherer Linie der eigenen Identität, dem unmittelbaren Ausdruck nachspürt.

Die Ausstellung will mehr als nur den Künstler Morgner vorstellen. Ausgehend von seinem zeichnerischen Werk, von dem zahlreiche Blätter in diesem Zusammenhang erstmals ausgestellt bzw. publiziert werden, soll Morgner vor dem Hintergrund seiner Zeit als Person beleuchtet werden. Wichtige Stationen seines Lebens und Wirkens werden in einen erweiterten, historischen Kontext gestellt.

Wilhelm Morgner wird in eine Epoche hineingeboren, die als das Wilhelminische Zeitalter in die Geschichte eingegangen ist. Einst geprägt von einem unerschütterlichen  Fortschrittsglauben  und dem Vertrauen auf die Allmacht des Deutschen Reiches, wird nach der Jahrhundertwende ein zunehmender Kulturpessimismus spürbar. Angesichts der rasanten Entwicklung in Industrie, Wissenschaft und Technik wächst die Verunsicherung des Individuums, die zivilisatorische Anonymität und Entfremdung wird vor allem von der künstlerischen Avantgarde als bedrohlich empfunden. In Ablehnung der Kunst, Kultur und Gesellschaft des Wilhelminismus entsteht eine antibürgerliche Lebenskultur, mit der sich auch Morgner identifiziert. So wird in der Ausstellung zum Beispiel durch die Konfrontation ausgewählter Zeichnungen mit expressionistischer Lyrik zeitgenössischer Autoren Morgners Verinnerlichung des expressionistischen Weltbildes veranschaulicht, das er auch in seinen Briefen immer wieder in hymnischer Sprache in Worte zu fassen suchte.

Das konstruierte Wunschbild eines von Kunst und freiem Ausdruck durchtränkten Lebens bleibt jedoch Utopie und zerbricht mit Beginn des Ersten Weltkrieges, der von der jungen Generation zunächst euphorisch als die „Befreiung der Welt“ (Brief an Tappert aus Polen, 1915) begrüßt wird, sich aber nur allzu schnell als Katastrophe erweisen sollte, wie nicht nur die Biographie Morgners auf tragische Weise zeigt.