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Wer sich in der Iserlohner Innenstadt der Fußgängerzone vom Bahnhof kommend nähert, wird das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus wahrnehmen. Von diesem Bahnhof aus wurden jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen in die Vernichtungslager deportiert. Unterhalb dieses Bahnhofes, im Eckhaus Treppenstraße/Kluse, brachten die Nazis jene jüdischen Mitbürger unter, denen sie zuvor die eigenen Wohnungen entzogen hatten. An der Rahmenstraße befand sich das "Braune Haus", ein Treffpunkt der Nationalsozialisten, und in unmittelbarer Nähe des heutigen Standortes wurde bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung ein Nationalsozialist erschossen. Um dessen Tod zu rächen, ermittelte man einen vermeintlichen Täter und richtete ihn hin.

Das Mahnmal zeigt eine knapp überlebensgroße nackte männliche Figur aus Bronze, umzingelt von rostigen Winkeln aus Cor-ten-Stahl. Wie zum Appell bestellt, legt die Figur ihre Hände an die Außenseite der Oberschenkel. Eine Hand öffnet sie, wehrlos bittend, zum Betrachter hin. Nur diese Geste löst die Figur aus ihrer symmetrischen, unbewegten Haltung. Der kahlgeschorene Kopf und die Risse und Schürfwunden in der Bronzehaut kennzeichnen den Mann als Opfer. Die Figur steht nicht erhöht, sondern ist in die Wirklichkeit unseres Lebens hineingestellt. Der rund geformte Bronzekörper steht zwischen eckig-spitzen, aggressiven Winkelformen, welche die Betrachter in ihrer Vorstellung zum NS-Hakenkreuz vervollständigen können. Eine HIlfestellung hierfür bietet die vor der Figur in das Pflaster eingelassene Schrifttafel.

Siegfried Neuenhausen, damals Professor an der Hochschule für bildende Kunst in Braunschweig, wurde von der Stadt Iserlohn beauftragt, das Mahnmal zu entwerfen und auszuführen. Er hatte als kritischer Realist die politische Gewalt und die Beziehung von Tätern und Opfern bereits mehrfach gestaltet. Der Künstler stellte sich in der Entwurfsphase der Diskussion in einem Arbeitskreis der Volkshochschule. Mehrfach wurden die Entwurfsmodelle verändert. Auch die Diskussion um den Standort des Mahnmals vollzog sich öffentlich. Beschlossen wurde dieser Standort mit nachweisbaren geschichtlichen Bezügen mitten im Stadtzentrum, wo tagtäglich viele Menschen vorbeigehen.

Neuenhausen stellt in seiner Plastik den erniedrigten und gequälten einzelnen Menschen und nicht die Masse der Opfer dar. Der einzelne Mensch steht stellvertretend für Millionen Opfer. Seine Nacktheit zeigt uns, in welchem Grad er seinen Peinigern ausgeliefert ist. Seine Wehrhaftigkeit ist die aller Betroffenen: es waren jüdische Menschen, Sinti und Roma, Christen, Kommunisten, Sozialisten, Opfer der Euthanasie, Homosexuelle und andere, die in die menschenverachtende Maschinerie der Nazis gerieten.

Nicht nur die Hilflosigkeit dieser Menschen, sondern auch die vollzogene Demütigung wird durch die Nackheit der Figur offengelegt. Alle können jetzt sehen, dass die letzte Schutzschicht, die Kleidung, ihnen abgenommen wurde. Die Stahlwinkel deuten auf den Menschen in der Mitte. Sie symbolisieren die Gewaltherrschaft. Eine Flucht aus dem technisierten Vernichtungsapparat der Nazis war unmöglich geworden.

Das Mahnmal von 1989 hat in den letzten Jahren einen schrecklich aktuellen Bezug erhalten durch die Verbrechen an ausländischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen in unserem Land.

[Text: Karin Szameitat. In: Moderne Kunst in Iserlohn. Kunst im öffentlichen Raum. hg.v. der Stadt Iserlohn und Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Landesbildstelle Westfalen, 1996]