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Robert Ittermann - Gebt Sie Frei!

"Die Mittelachse des auf einer freistehenden Wand verankerten bronzenen Flachreliefs wird beherrscht von einer knienden weiblichen Gestalt in feierlicher Frontalität. Der linke Arm ruht, wie zum Schutz, vor der Brust. Der rechte ist gesenkt. Die zum Betrachter hin geöffnete Hand zielt auf Kommunikation. Der Kopf ist zur rechten Körperseite geneigt, die Augen sind niedergeschlagen. Die demütige Körperhaltung und die Geste der Hand sind bildlicher Ausdruck einer Bitte um Gnade, die von der Inschrift auf dem Sockel präzisiert wird: "Gebt Sie Freit!". Angesprochen sind die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die noch acht Jahre nach Kriegsende über 26.000 Kriegsgefangene nicht in die Heimat entlassen hatten.

In den oberen freien Feldern des Reliefs, rechts und links der Mittelachse, stehen - flacher und kleiner als die Hauptfigur - in symmetrisch-ausgewogenem Aufbau zwei Mütter, ebenfalls in Frontalansicht. Zwei Kinder sind ihnen zugeordnet: links ein Junge in Seitenansicht, seine Arme in flehentlicher Gebärde erhoben, rechts ein Mädchen, das von ihrer Mutter an sich gezogen wird, als wolle sie es trösten.

Die Dargestellten wirken nackt. Zwar tragen die Frauen ein zeitloses, feinplissiertes, an griechische Vorbilder erinnerndes Gewand, doch son die weichen Rundungen ihrer Körper deutlich erkennbar.
Alle Umrisse, alle Schwellungen, alle Wölbungen von Leibern und Gliedmaßen treten in feiner, subtiler Abstufung aus dem flachen Hintergrund der Bronzeplatte heraus. Die zentrale Figur diominiert durch ihre Größe und den kräftigen Körperbau die Komposition. die Stofflichkeit der durchsichtigen Gewänder und die Wellenlinien der Haare sind durch feine Ziselierungen der Oberfläche gekennzeichnet.

Bronze war neben Stein das bevorzugte Material ds in Iserlohn geborenen, an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf und an der Karlsruher Kunstakademie ausgebildeten Künstlers Robert Ittermann (1886-1970). Unbeeindruckt von seinen Generationsgenossen Ernst Barlach (1870-1938) und Käthe Kollwitz (1867-1945) und unbeirrt vom Wechsel der Kunstrichtungen zeigen Ittermanns Plastiken eine harmonische Gestaltung und Geschlossenheit der Form. Sie bezeugen ein klassisches Menschenbild, das in der Innerlichkeit des Ausdrucks den Gestalten eine höhere, geistige Bedeutung zu geben versucht. Auch in diesem Relief wird kein Schrei, kein Protest, keine Anklage laut. es ist vielmehr das Pathos eines idealisierten Menschenbildes, das in konzentrierter Ruhe und in überzeitlicher Schönheit mit dem Gestus des Kniens den Sieger um Gnade bittet. Noch einmal beschört hier ein Künstler die humanisierende Kraft des Schönen.

Schon 1928 war Ittermann beauftragt worden, ein Ehrenmal für die Stadt Iserlohn zu schaffen: die Figur des "Kriegers" auf der Gedenkstätte für die Geffallenen des Ersten Weltkrieges auf dem Iserlohner Friedhof. Auch das Bronzerelief am Poth war eine Auftragsarbeit für die Stadt. Mit ihm wollten die im Heimkehrer-Verband zusammengeschlossenen Kameraden der noch Festgehaltenen gedenken und den Ruf nach ihrer Entlassung verstärken. Am 18. Oktober 1953 wurde die Arbeit Ittermanns auf dem Bahnhofsplatz enthüllt. Aus städtebaulichen Gründen wurde sie zweimal umgesetzt, zunächst an eine Mauer am Westertor, dann nach Umgestaltung des Rathausplatzes und des angrenzenden Poths an die jetzige Stelle."

[Text: Marieluise Spangenberg. In: Moderne Kunst in Iserlohn. Kunst im öffentlichen Raum. hg.v. der Stadt Iserlohn und Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Landesbildstelle Westfalen, 1996]